| 22.08.2014
Deutsche Sprache, Kein Fehler
Die Floskelwolke nimmt die Kritik sportlich und listet sie sogar im Pressespiegel. Legen wir also noch einen drauf. 😉
Immerhin, die humanitäre Katastrophe, die anfangs fälschlicherweise noch als falsches Deutsch deklariert und als Floskel gelistet war, wird nun nicht mehr angeprangert, sie wurde durch die „menschliche Katastrophe“ ersetzt. Die evakuierten Menschen sind jedoch weiterhin dabei. Aber was lacht einen da eigentlich recht zentriert in der Mitte der Floskelwolke an? Das Offensichtliche übersieht man eben doch am leichtesten.
Quelle: Floskelwolke.de von Udo Stiehl/Sebastian Pertsch
Tote gefordert. Vor kurzem sogar noch der am häufigsten gelistete Begriff. In der Tat ist das eine gängige und oft gehörte Wendung. Nur die Erklärung macht stutzig:
Ereignisse können nichts fordern. Der „Absturz eines Hubschraubers hat drei Tote gefordert“ ist falsch. (…) Abstürzende Hubschrauber sprechen nicht.
Doch, das tun sie. Das nennt sich übertragene Bedeutung und ist ein ganz normaler Vorgang in der Sprache: Dinge, Vorgänge und Situationen materialisieren und personalisieren sich oder bekommen plötzlich eine Dynamik, die man ihnen nie zugetraut hätte.
Ohne Überträge geht’s nicht. Wenn man anfängt, mit vordergründiger Logik die Sprache zu zerpflücken, um zu verhindern, dass Begriffsbilder einen Sachverhalt zusammenfassen, dann kann man es auch gleich sein lassen. Es ließe sich niemand mehr wachrütteln, Fragen könnten nicht offenbleiben, es gäbe nicht mal mehr Naheliegendes.
Picken wir mal wahllos einen Artikel heraus und schauen uns spaßeshalber die Bestandteile an, die eine übertragene Bedeutung haben, z.B. diese DPA-Meldung, „Waffen für den Irak: Steinmeier bleibt vage“. Sie enthält sage und schreibe die folgenden 17 (!) Begriffe mit übertragener Bedeutung:
1. ausloten
2. eine Rolle spielen
3. fallende Begriffe
4. unter vier Augen sprechen
5. das Wort in den Mund nehmen
6. vornehm zurückhalten
7. Verantwortung abschieben
8. etwas entgegensetzen
9. Spielraum lassen
10. entfernt scheinen
11. sich der Meinung entgegenstellen
12. liegende Probleme
13. durch die Hintertür kommen
14. Klarheit bringen
15. auf dem Tisch liegende Fakten
16. eine einheitliche Linie hinbekommen
17. auseinandergehende Meinungen
Bei allen Wendungen könnte man vorbringen, dass da nicht wirklich etwas gesetzt, geschoben oder versenkt wird, nichts fällt, steht, geht oder liegt. Die Hintertür bleibt geschlossen, der Mund frei und der Tisch ebenso. Und von der Meldung bliebe nicht mehr viel übrig.
Ereignisse, die Opfer fordern, klingen durchaus floskelhaft. Aber sie sind deshalb noch lange kein falsches Deutsch. Man findet sie sogar im Duden. Auch als Journalist kann man die Redewendung daher ruhigen Gewissens verwenden. Nur vielleicht mal etwas weniger häufig.