Man könnte annehmen, Journalisten hätten andere Probleme als den inflationären Gebrauch von Floskeln. Die gerade durch die Berichterstattung geisternde Floskelwolke will den Gegenbeweis antreten. Doch man merkt ihr an, dass hier keine Sprachwissenschaftler am Werk waren. Die Floskelwolke listet durchaus eine Menge dümmlicher Floskeln auf, die den verständigen Leser nerven und in sich selbst unlogisch sind, darüber hinaus aber auch Phrasen, die lediglich die Macher zu nerven scheinen – und Begriffe, die mit Floskeln nichts zu tun haben.
Floskelwolke
Quelle: Floskelwolke.de von Udo Stiehl/Sebastian Pertsch

Zum Beispiel:

Menschen evakuieren
Wer sich am Evakuieren von Menschen stört, hat nicht verstanden, dass Begriffe im Deutschen nicht selten mehrere Bedeutungen haben – und sich Bedeutungen von Zeit zu Zeit sogar verschieben. Neben dem physikalischen Luftleermachen steht evakuieren seit Jahrzehnten sinnbildlich für das Aussiedeln von Bewohnern. Was die alten Römer darunter verstanden, ist nicht relevant. Wer möchte, kann daher beruhigt Menschen evakuieren (aus was auch immer). Die Gebiete, aus denen evakuiert wird, schwingen unsichtbar mit. Andernfalls dürfte es das Substantiv Evakuierter (im Duden nicht erst seit gestern) ebenfalls nicht geben.

Datendiebstahl
Der Techniker weiß: Digitale Daten werden selten tatsächlich gestohlen. Und der Jurist weiß: Erpressung ist in Wirklichkeit meistens Nötigung. Beides hat mit normaler Sprache dennoch nichts zu tun. Um den Vorgang des Entwendens zu beschreiben (ob nun vollständig oder in Kopie), ist die Verwendung des Diebstahl-Bildes, das den ungewollten Verlust illustriert – denn darauf kommt es an – absolut legitim.

zeitgleich
Ist keine Floskel, sondern schlicht ein Wortfehler, wenn es im Sinne von gleichzeitig verwendet wird. Allerdings kann mittlerweile bereits davon ausgegangen werden, dass sich zeitgleich zum Synonym von gleichzeitig mausert – und daher eine Doppelbedeutung erhält, wie es schon bei scheinbar und anscheinend zu beobachten ist.

Grünes Licht
Ein wunderschönes Bildnis für signalisierte Zustimmung – Nervfaktor: Null.

Humanitäre Katastrophe
„Eine Katastrophe kann nicht (…) menschlich sein“. Natürlich nicht die Katastrophe an sich, aber die Katastrophe besonders schlimm für das menschliche Leben. Genau das möchte der Begriff ausdrücken und schafft es auch – in Abgrenzung etwa zur Umweltkatastrophe (die auch nicht durch, sondern für die Umwelt schlimm ist).

Projekte wie das Floskelwolke-Verzeichnis sitzen dem Irrtum auf, dass vermeintlichen Fehlentwicklungen durch Sichtbarmachung entgegengetreten werden kann. Das jedoch bleibt ein frommer Wunsch. Bestenfalls verarmt die Sprache oder der Schreiber beraubt sich legitimer Stilmittel. Das Einzige, was gegen dämliche Phrasen hilft, sind weniger dämliche Phrasen. Journalisten tun daher gut daran, sich ihre eigenen Gedanken zu machen, sich nicht an (Negativ-)Verzeichnissen zu orientieren, sondern generell ausgetretene Pfade zu verlassen und auch in sachlichen Texten frisch und phantasievoll zu formulieren. Zur Kontrolle, ob die platten Wege aktuell auch wirklich verlassen wurden, lässt sich die Floskelwolke dann wiederum gut gebrauchen.